Freiheit ist der vierte Weg

vom 24. November 2005 um 13:05 von Markus Slobodeaniuk

Es war ein warmer Tag, vor mir lag der Beginn der dünnen, alten Brücke.
Verrottendes Holz, Seile, die vom Wetter gegerbt waren, so zierlich.
Darunter eine Schlucht, tief, breit und vom Licht ausgeleuchtet,
dennoch unergründlich tief hinab bis zum Boden.
Wasser, Felsen, Wiesen, dort unten war nichts zu erkennen.
Genausowenig wie der Weg über die Brücke, so weit weg.

Ich setzte den ersten Fuss auf den schmalen Weg aus Holz und Pflanzen,
als mich ein Arm ergriff. Ein Freund hatte ein Seil an einen Baum gebunden,
hielt das andere Ende vor mir hin und band es mir dann um die Hüften.
Ich werde Dich festhalten, las ich in seinen Augen, dann liess er mich gehen.

Ich setzte den ersten Fuss auf die Brücke zwischen den beiden Seiten der Schlucht,
da flogen mir von drüben gleich zwei Seile zu. Ich band sie um, spürte den Zug
aus beiden Richtungen und fühlte mich nun viel sicherer. Was konnte mir
geschehen, von beiden Seiten wurde ich gehalten.

Ich setzte einen Fuss vor den anderen, die Brücke schwankte leicht,
das Holz knarrte und ich zwang mich nicht runter zu sehen, so tief war es.
Von beiden Seiten flogen mir immer wieder hilfreiche Seilenden zu,
kaum das ich auch nur etwas innehielt im Tempo. Schließlich hatte ich
soviele Seile an mich gebunden, dass die Brücke dagegen unbefestigt war.

Der Zug war ungleichmäßig, mal zog die Seite zu stark, wo ich losgegangen war,
mal die, wo ich hinwollte. Der Weg war noch weit. Ich stand ungefähr in der
Mitte der Brücke, konnte die Leute auf der einen und auch auf der anderen
nicht mehr erkennen, nur viele Seile hielten mich wie ein Spinnennetz.

Der Zug war ungleichmäßig, ich strauchelte, die Brücke gab nach.
Mit einem Knarren lösten sich einige Balken aus der Konstruktion,
dann fielen immer mehr Teile heraus bis die Pflanzenfasern nur noch
schlaf über dem Abgrund hingegen, ihres Sinnes entleert.

Der Zug war ungleichmäßig, doch stark. Die Seile hielten mich frei in der Luft.
Unter mir unendliche Tiefe, in beiden Richtungen keiner mehr zu erkennen,
nur die Seile, die mich in der Luft hielten und versuchten auf den sicheren Grund
zu ziehen. Ich fühlte die Kraft an meinem Unterkörper, die zu wirken begann.

Die Welt so ruhig, unter mir der freie Fall, an mir Seile, die mich im
Bemühen mich zu retten, begannen den Körper zu zerreissen. Ich griff in die
Tasche, nahm das Messer und machte den ersten Schnitt.
Das Seilende schwang frei und hing dann in den Abgrund hinab.

Die Welt so still, ich konnte das Entsetzen spüren bis hier,
hier wo mich nur noch ein paar letzte Seile frei schwebend hielten,
schwebend gebunden durch Kräfte, die mich festhielten, um mir zu helfen.
Ein weiteres Seilende verlor die Kraft und mein Messer suchte das nächste.

Die Welt so atemlos, nur zwei Seile waren geblieben, eins von jeder Seite.
Noch immer hing ich über dem Abgrund, ich wußte, wer am Ende dieser
Seile stand und nun alles tat, um mit dem letzten Schnitt mich zu sich
zu ziehen und aufzufangen. Ich griff in die Tasche und nahm ein zweites Messer.

Es war ein warmer Tag, unter mir die Bretter der Brücke noch immer am Fallen.
Ich schnitt, gleichzeitig, beide Seile, die mich noch hielten und dann begann
mein Fall, eine neue Kraft hatte sich meines Körpers bemächtigt, viel stärker.
Im warmen Luftzug des Falles konnte ich noch immer nichts dort unten erkennen.
Was auch immer da sein mochte, ich ließ es ziehen, ließ es zurück wie die
Seiten der Schlucht, schwang meine Flügel und war frei.

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